Veränderung durch Vernetzung, denn gute Lehre braucht Inspiration und vor allem produktiven Austausch.
In unregelmäßigen Abständen lädt HD Text+ zu Fachtagen ein, um mit Beiträgen aus der Community zu einem Thema der fachbezogenen Hochschuldidaktik für Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften ins Gespräch zu kommen. Am 07.12.2020 haben wir erstmals einen Online-Fachtag veranstaltet, bei dem die Teilnehmenden unter der Überschrift “Kritisch. Denken. Lehren.” den diesbezüglichen Herausforderungen und Möglichkeiten nicht nur im virtuellen Raum nachgegangen sind. Zugleich war es eine Abschiedsveranstaltung für unsere Kooperationspartner:innen aus dem Projekt Lehrpraxis im Transfer plus, das zum Jahresende auslief – wir blicken dankbar auf die gemeinsam gestalteten Fachtage und die damit verbundene Idee, dass strukturierter Austausch Motivation und Entwicklung ermöglicht.
Im ersten Beitrag nahm Thorsten Ries (Gent / Regensburg / Austin) eine plakative Verteidigung der Präsenzlehre zum Ausgangspunkt, um einen differenzierten Blick auf Herausforderungen und Potenziale der digitalen Lehre unter Corona-Bedingungen in der Germanistik zu werfen. Der Sprung in die Online-Lehre zeige eben auch, welchen Illusionen über den Arbeitsaufwand von Lektüre- und Schreibaufgaben in der Präsenzlehre und damit für die Befähigung zum wissenschaftlichen Diskurs wir als Lehrende erliegen. U.a. das zu erhellen, aber vor allem die technischen, organisatorischen und didaktischen Aufgaben (übrigens, so die Erfahrung, genau in dieser Reihenfolge) in wachsender Versiertheit zu meistern, braucht kollegialen Austausch. Das verdeutlichte Kristin Eichhorn (Paderborn) am Beispiel der Plattform Digitale Lehre Germanistik. Aus der Not geboren sind hier innerhalb einer Fachgemeinschaft durch kollegiale Kollaboration Strukturen entstanden. Die solidarisch, pragmatisch Antwort auf die plötzliche Herausforderung (Selbstaussage auf der Homepage) offenbart hochschuldidaktische Potenziale und Entwicklungsdynamiken in den Fächern. Eine solche Plattform verändert den Austausch über Lehre und zeigt die Anschlussfähigkeit erprobter Lehrideen bzw. Lösungen in ihren Möglichkeiten und Grenzen, (selbst-)kritisches Denken inklusive.
Dafür illustrativ waren die Einlassungen von Andreas Frings (Mainz). Am Beispiel eines einführenden geschichtswissenschaftlichen Seminars reflektiert er die Förderung eines im Sinne der Kompetenzentwicklung notwendigen Conceptual Change bei den Studierenden durch das bewusste Herbeiführen bedeutungsvoller kognitiver Konflikte. Kritisch denken lernen heiße für Studierende nicht zuletzt Ambiguität aushalten und das eigene Denken angemessen einschätzen. Für Lehrende bedeute es, offene Fragen nicht zu früh aufzulösen, den Studierenden die Gelegenheit zum produktiven Scheitern einzuräumen und Prozesse geduldig zu begleiten.
Dass und wie Hochschuldidaktik solche Reflexions- und gestalterischen Prozesse von Lehrenden begleiten kann, griff Sabine Reisas (Kiel) anhand von Erfahrungen aus dem Projekt PerLE in ihren Darlegungen zu Visualisierungen im Format des Forschenden Lernens auf. Perspektivenvielfalt und das Sichtbarmachen von so genannten kritischen Ereignissen im Forschungsprozess seien sowohl für Studierende als auch für Lehrende für die Professionalisierung des eigenen Handelns unabdingbar. Sie plädiert dabei für eine Kultur des Ermöglichens und des Scheiterns, getragen von Transparenz auf Augenhöhe in der Kommunikation und einen multiperspektivischen Blick.
Ganz in diesem Sinne kamen im Anschluss an die kooperative Keynote die Teilnehmenden in thematischen Gruppen mit den Beitragenden und miteinander ins Gespräch.
Die erste Gruppe befasste sich unter der Überschrift „Die Fachgemeinschaft als Raum für kollegialen Austausch und Vernetzung“ mit der Frage, welche Möglichkeiten der Austausch in der Fachcommunity zur Förderung kritischen Denkens eröffnet. Zu den Ergebnissen dieser Diskussion gehörte der Wunsch, dauerhafte Gesprächsformate zu schaffen, um über das „Inselwissen“ einzelner Kolleg:innen und das Sammeln von Tipps und Tools hinaus Erfahrungen zu reflektieren sowie Lernszenarien didaktisch zu entwickeln. Dabei sei es dienlich, auch die Haltung von Lehrenden in den Blick zu nehmen, und zu entwickeln.
Eine zweite Gruppe beschäftigte sich mit dem Thema Lehrveranstaltungsplanung und arbeitete zur Frage, wie kritisches Denken konkret in Lehrveranstaltungen gefördert werden kann. Aus der Diskussion von Lehrbeispielen, die von Teilnehmenden eingebracht wurden, kristallisierten sich zwei Diskussionsschwerpunkte heraus: zum einen sprach die Gruppe darüber, wie gute Arbeitsbeziehungen, „sichere Räume“ und Vertrauen als Grundlage für das Erproben eigener Denk- und Kritikfähigkeit gesichert werden können, zum zweiten wurde die Bedeutung von Tranzparenz bei Zielen, Erwartungen und Kriterien herausgestellt. Beides mündete in der Überlegung, dass es gilt die Kultur der Kritik im jeweiligen Kontext zu reflektieren: Was wird unter Kritik verstanden? Was ist erlaubt?
Die dritte Gruppe widmete sich schließlich der Frage, wie eine hochschuldidaktische Unterstützung der Förderung von kritischem Denken aussehen sollte. Zu den Ergebnissen gehörten Vorschläge, biographische Ansätze anzuwenden, um mit Lehrenden zur reflektieren, wie sie geworden sind, was sie sind. In der Rückschau auf den eigenen Kompetenzerwerb ließen sich prägende Einflüsse identifizieren und didaktischen Überlegungen zugänglich machen. In diesem Zusammenhang wurde auch die Bedeutung von Fachkulturen und Curricula in den Blick genommen. Hochschuldidaktik entfalte dabei ihr Potenzial als fragend entwickelnde Begleitung, die neue Perspektiven aufwerfen und Ansatzpunkte für die Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen einbringen könne.
Wir möchten allen Beitragenden und Teilnehmenden danken. Der Austausch und viele positive Rückmeldungen haben uns ermutigt über weitere (digitale) Formate zur fachbezogenen Hochschuldidaktik für Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften nachzudenken. Im Frühsommer wird es dazu Neuigkeiten geben.