Mit einer Vorschau auf die Aktivitäten von HD Text+ e.V. in den kommenden Monaten und einem Bericht zum vergangenen Fachtag erwacht nun unser Blog auch endlich aus dem Winterschlaf.
- Anfang März findet in Leipzig die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik (dghd) e.V. zum Thema „(Re)Generation Hochschullehre. Kontinuität von Bildung, Qualitätsentwicklung und hochschuldidaktischer Praxis“ statt. Wir sind mit dem Kurzworkshop „Fachdisziplinen und Hochschuldidaktik im Dialog: fachbezogene Hochschuldidaktik gemeinsam entwickeln“ vertreten. Zudem wird Anja Centeno García Ergebnisse unseres letzten Fachtags in den Workshop „Kritisches Denken: Alle fordern es – keiner lehrt es?“ einbringen.
- Zum Thema des vergangenen Fachtags „Kritisch. Denken. Lernen.“ planen wir ein Themenheft bei der Online-Zeitschrift „die hochschullehre“ , das Ende des Jahres erscheinen soll. Einen Call for Papers werden wir in Kürze veröffentlichen.
Kritisch. Denken. Lernen. Ein Fachtag zu Herausforderungen und Ansätzen für die fachbezogene Hochschuldidaktik
Bericht von Beate Erler und Anja Centeno García
„Studierende sind die Multiplikatoren kritischen Denkens der Zukunft.“ Aber: „Sie müssen es erst lernen.“ Bereits im Grußwort von Roland Biewald, dem Studiendekan der gastgebenden Philosophischen Fakultät der TU Dresden, zum dritten Fachtag des Vereins HD Text+ in Kooperation mit dem Projekt Lehrpraxis im Transfer + (LiT+) am 14. September, wurde deutlich was Hochschullehre leisten muss: Damit Studierende „kritisch denken lernen“, so der Titel des Fachtages, muss es zum Gegenstand der Lehre werden, auch und gerade in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften.
„Das Kennzeichen unserer Fachtage ist, dass wir ausgehend von unterschiedlichen Perspektiven gemeinsam und intensiv am Thema arbeiten“, sagte die Vorsitzende des Vereins HD Text+, Anja Centeno García. Dass Vertreter*innen aus den Fächern, wie z.B. der Geschichte, Philosophie oder Theologie, in gleicher Zahl vertreten waren wie Hochschuldidaktiker*innen, machte den Austausch besonders ergiebig.
Den Auftakt machte eine kooperative Keynote, in der zuerst einige Grundgedanken zum kritischen Denken vorgestellt und diskutiert wurden. Peter Salden, Leiter des Zentrums für Wissenschaftsdidaktik der Ruhr-Universität Bochum, beschrieb kritisches Denken als eines der wichtigsten und auch akzeptiertesten Lernziele an der Hochschule. Es bedeute selbstständig zu denken und zu hinterfragen als Gegensatz zum bloßen Kritisieren. Dennoch gebe es kein einheitliches Verständnis darüber, was kritisches Denken eigentlich ist, und zu selten werde es den Studierenden systematisch gelehrt. Die Wissenschaftsdidaktik müsse demnach Ansätze zur Vermittlung bzw. dem Erwerb einer solchen Denkweise anbieten, so sein Fazit. Die Sicht der Studierenden vertrat Inga Schütte, Absolventin der Theologie, Germanistik und Philosophie an der TU Dresden. Sie berichtete von dem Unbehagen, das sie und andere Studierende gegenüber Texten aber auch Lehrmethoden („Frontalunterricht statt Raum und Zeit“) oft empfanden. Der Wunsch der Lehrenden nah am Text zu bleiben und sich kritisch mit ihm auseinanderzusetzen, endete oft in der Kritik, dass die Herangehensweise der Studenten zu unwissenschaftlich gewesen sei. Inga Schütte sieht aber genau in dem Gefühl des Unbehagens einen ersten Schritt in Richtung kritisches Denken, das die Lehrenden ernster nehmen sollten. Markus Tiedemann, Professor für Didaktik der Philosophie und für Ethik an der TU Dresden, bezeichnete die „wohlbegründete Meinung“ im Sinne Platons als Ausgangspunkt des kritischen Denkens. Ihm gegenüber stehe das bloße Meinen. Intersubjektive Vermittelbarkeit, Konsistenz, Kohärenz, Prämissen-Sparsamkeit und Falsifizierbarkeit seien die Merkmale kritischen Denkens. Als Methode ist es die notwendige Bedingung für Wissenschaft und muss dennoch an der Gesellschaft und deren Lebenswelt orientiert sein. Die zentrale Aufgabe der Didaktik sei es, diese beiden Elemente in Verbindung zu halten.
Im Anschluss konzentrierte sich eine moderierte Postersession auf den praktischen Hochschulalltag. Sieben Teilnehmende, zum größten Teil selbst Lehrende, stellten ihre Ideen und Ansätze zum kritischen Denken vor allem aus Sicht der Lehre dar.
Göran Wolf, Anglist an der Georg-August-Universität Göttingen, erläuterte am Beispiel eines altenglischen Gedichtes, wie sich das Lehren kritischen Denkens mit Ansätzen der Digital Humanities verbinden lässt. Die kritischen Fragen am Text könne uns die Digitalisierung nicht abnehmen, aber wir können sie als Werkzeug benutzen. Das kritische Denken läge aber in der direkten Auseinandersetzung mit dem Text. Dafür müssen sich die Studierenden in mehrere Disziplinen (z. B.: Geschichte, Editionswissenschaft, Bibliothekswissenschaft) einarbeiten, um den Text kritisch betrachten zu können. Martin Köhler, TU-Dresden, regte die Teilnehmer zur kritischen Reflektion der eigenen Lehre an. Lehrende müssten sich selbst als Vorbilder verstehen, da Studierende ihre Dozenten oftmals als solche begreifen. Jeder Lehrende sollte sich selbst fragen: Gehe ich mit gutem und kritischem Beispiel voran und kann ich meine Studenten zu kritischen Denker/innen ausbilden? Ulrike Job, Universität Hamburg, erinnerte daran, dass kritisches Denken gerade in den Geisteswissenschaften eine Schlüsselkompetenz ist. Allerdings werde sie nicht systematisch vermittelt, sondern vielmehr implizit vorausgesetzt. Ein Metablick auf und systemisches Wissen über kritisches Denken könnten das Handlungsrepertoire der Hochschuldidaktik erweitern. Andere Ansätze gingen der Frage nach welche Mythen es in der und über die Hochschullehre gibt und wie sich solche Annahmen in der subjektiven Konstruktion von Lehrenden widerspiegeln; welche Schwierigkeiten Studierende mit dem Schreiben von wissenschaftlichen Texten haben oder wie sich das Hochschulseminar auch als Trainingsraum eignet, in dem sich Experten auf unterschiedlichen Ebenen begegnen und im Diskurs voneinander lernen.
Die vielfältigen Herangehensweisen an das Thema wurden am Nachmittag durch drei weiterführende, von Fachexpert*innen moderierte Arbeitsphasen vertieft: Kritisches Denken und Wissenschaft/Fachkultur (Wolfang Deicke, bologna.lab HU Berlin), Kritisches Denken und Persönlichkeitsentwicklung (Matthias Ballod, Germanistisches Institut MLU Halle-Wittenberg) sowie Kritisches Denken und Lehrpraxis (Nina Melching, Schreibzentrum TU Dresden). Als Ergebnisse aus den Arbeitsphasen und des Fachtages können zusammengefasst werden:
Kritisches Denken umfasst Haltung und Methoden. Während Haltung weitgehend als fachübergreifender Aspekt expliziert werden kann, zeigt sich in den Methoden eine deutliche Fachtypik.
Auch Lehrende brauchen Orientierung, wie sie Kritisches Denken als Lerngegenstand erschließen können (dazu entstand u.a. im Track zur Lehrpraxis eine kleine Methodensammlung).
Kritisches Denken systematisch in die Lehre zu integrieren erfordert Offenheit, Freiheit und Freiraum. Das heißt im Einzelnen:
- einen Austausch im Lehrteam zum Grundverständnis kritischen Denkens
- seine curriculare Verankerung vorzugsweise integriert in den Fachlehrveranstaltungen oder additiv, z.B. als Studium generale
- seine Überführung in konkrete Teilkompetenzen und Lernziele
- Lehrveranstaltungen transparent als Raum für kritisches Denken zu gestalten, z.B. Anspruch und Qualität kritischen Denkens thematisieren, Zeit für kriterienbasiertes Feedback und Peer-Feedback einräumen, Multiperspektivität anregen
Kurz: Ganz gleich ob auf der Makroebene der Studiengangsgestaltung, der Mesoebene der Modul- oder Semesterplanung oder den konkreten Lehr-Lernsituationen auf der Mikroebene, die Ausbildung kritischen Denkens braucht Transparenz, Anleitung, Reflexion und Toleranz, vor allem kontinuierlichen Austausch.
Eine Publikation zum Thema „Kritisch. Denken. Lernen.“ ist in Vorbereitung. Der nächste Fachtag ist im September 2020 geplant.